Portrait

Handwerkstradition in 7. Generation

kurzschuss photography gmbh - Hampi Fässler, Appenzeller Sennensattler
Bilder: kurzschuss photography gmbh
Hampi Fässler ist einer der letzten Appenzeller Sennensattler – ein Kunsthandwerk mit langer Tradition. Wir haben ihn in seiner Werkstatt besucht.
Interview: Michèle Imhof | Lesedauer: 5 Minuten
Wieder und wieder saust der kleine Hammer auf einen Eisenstift und hinterlässt, bei metallischem Klingen, ein feines Muster auf dem in Form gesägten Silberplättchen. Langsam entsteht so eine Blume, eine Kuh, ein Senn, ein Bläss. Wir sind in der Werkstatt von Hampi Fässler in Appenzell. Seit sieben Generationen zeichnet, sägt, ziseliert, schneidet, näht und stickt die Familie Fässler hier. Die Arbeit seines Urururgrossvaters Johann Anton Fässler (1772–1850) drehte sich noch um die Herstellung klassischen Bauernbedarfs wie Rosschomed (Pferde-Zaumzeug) oder Lederteile für Ochsenjoche. Er war jedoch der Erste, der den ledernen Hosenträgern Messingbeschläge aufnagelte – ein bis heute prominentes Element der Appenzeller Tracht.

Ein typischer Tag beginnt bei Hampi am Aussägeplatz im Erdgeschoss seiner Werkstatt. Das Radio läuft, überall liegen die von Hand angezeichneten Messing- oder Silberstücke zur Bearbeitung mit einer kleinen Handsäge bereit. Ein bis zwei Stunden pro Tag kann Hampi so verbringen. «Andere machen Yoga, ich säge aus.», erklärt er. Jeden Tag ist er in seiner Werkstatt, ausser wenn das Wetter ihn in den Alpstein zieht.
 

Persönliche Handschrift für individuelle Geschichten

Auf das Aussägen folgt das «Ziselieren». Es bildet den zentralen Arbeitsschritt eines Sennensattlers und jenes Element, an dem seine Handschrift am besten sichtbar wird. «Das Ziselieren, das Herstellen der Beschläge, ist wie eine Handschrift. Das ist, wie wenn du zehn Schülern ein Diktat gibst: Überall steht der gleiche Text, aber du hast ein anderes Bild.»

«Sennische» Handwerkskunst: Schellenriemen, Sennenkäppeli, Hundehalsbänder.
Eines von Hampis wertvollsten Stücken: ein Hosenträger aus der Hand seines Vaters.
Das zeichnende Meisseln in die zuvor von Hand aus Messing, Neusilber oder Silber ausgesägten Figürchen ist nicht einfach Dekoration. Jeder Chüeligürtel und Hosenträger erzählt eine persönliche Geschichte des Trägers, nimmt Bezug auf ihm Kostbares. So finden sich bei Hampi Motive wie Kamele, Bagger oder Schweizer Gardisten. Das muss nicht unbedingt einen Bruch mit der Tradition bedeuten, wenn sich diese vor allem im Handwerk an sich begründet. Die klassischen Motive wie Kühe, Rösser, Sennen, Blesse, Geissen und Blumen sind ein Zeichen der Wertschätzung und Ehrerbietung der Bauern und Sennen, die Symbole ihrer Tiere, Blumen und Werkzeuge auf sich tragen. So ist in den 1910er-Jahren der erste Chüeligürtel entstanden. Aus eher religiösen Symbolen wie Kelch und Disteln der gläubigen Katholiken sind mit der Zeit weltliche Motive entstanden – jedes vom Sennensattler auf das Individuum angepasst. Oft werde er gefragt, ob man ihm bei der Arbeit unter die Arme greifen dürfe. Die «Pergament» genannte, gefärbte Ziegenhaut, mit der er seine ledernen Schellenriemen bestickt, die verschiedenen Metalle und die Materialien haben einen Reiz auf die Menschen.

Wertigkeit für die Ewigkeit

Besonders die jüngere Generation schätzt das Hochwertige – und lässt sich einen Original-Fässler aus Silber gerne mal über 1000 Franken kosten. Die Gürtel sind beständig und begleiten ihre Träger oft ein Leben lang, manchmal auch deren Nachkommen. Zeigt die Zeit doch irgendwann ihre Zeichen, kann Hampi die Motive auf einen neuen handgefertigten Gurt aufbringen. Oder es wird auch mal eine Initiale ausgetauscht, etwa nach einem Partnerwechsel.

Zwei Hände und unzählige Werkzeuge

Dass dieser Beruf nur mit der Bereitschaft zu dreckigen Händen, guter Feinmotorik und viel Feingefühl gelingen kann, ist für Hampi klar. Obschon er in einer Familie von Sennensattlern aufgewachsen ist, hat er sich das meiste selbst beigebracht. Von einer eher massentauglichen, maschinellen Produktionsweise während seiner Zeit als Dekorationsgestalter bei Globus zur reinen Handarbeit und der endgültigen Übernahme des Betriebs haben sich Hampis Stil und vor allem Anspruch verändert. Die allermeisten Werkzeuge, die täglich durch seine Hände gehen, sind die seiner Vorfahren. Viele Stücke sind bis zu 60 Jahre alt, keiner ausser ihm darf diese berühren. Manches fertigt er sich auch selber an.

Nur in seltenen Fällen holt sich Hampi Fässler Unterstützung bei einzelnen Arbeitsschritten. Die Werkstatt ist dann auch voll und ganz sein persönliches Refugium. Fast museal mutet die zweistöckige Werkstatt im historischen Appenzellerhaus an. Zwischen reich bemalten Bauernschränken, ausgestopften Tieren, alten Fotografien seiner Ahnen, Gemälden und weiteren antiken Sammlerstücken könnten die kleinen Arbeitsplätze zum Sägen, Schneiden, Nähen und Ziselieren beinahe übersehen werden.

Hampi Fässler ist einer von wenigen Sennensattlern, die das Handwerk noch beherrschen.

Ein Erbe mit Zukunft?

Das Wertvollste in seiner reichen Sammlung sind jedoch Familienerbstücke: ein Schellenriemen von Anfang des 19. Jahrhunderts, ein Hundehalsband des Grossvaters von 1880 und ein Hosenträger aus der Hand seines Vaters – dieser ist von besonderer emotionaler Bedeutung, da seine Eltern jung bei einem Zugunglück verstarben. Einiges hat Hampi von ihren Besitzern zurückgekauft. Es gibt einen Markt für solch seltene Stücke: Ein Schellenspiel aus der Hand seines Grossvaters, bestehend aus drei Schellenriemen und Schellen, wurde bei einer Auktion für einen fünfstelligen Betrag versteigert.

Aber nicht nur unter Insidern und Sammlern ist die Handwerkskunst beliebt. Als wir Hampi treffen, ist er gerade dabei, einen Gurt für Kylie Minogue zu ziselieren. Ein Geschenk ihres Weinvertriebs zum Geburtstag. Die Appenzeller Kunst ist an so manchem Promi zu bewundern, ob aus der Hand von Hampi Fässler oder von einem der wenigen anderen traditionellen Handwerkskünstler. Ob eine seiner zwei Töchter den Betrieb irgendwann weiterführen kann, ist noch unklar. Das Handwerk, das Haus, die Familie, das ist eine Einheit seit Jahrzehnten. Hampi hat aber noch lange nicht vor, aufzuhören. «Mein Ziel ist es, dass ich hier irgendwann in der Horizontalen rausgehe.» Und dann gibt es vielleicht irgendwann eine Stiftung und ein kleines Museum. Initiiert von einer seiner zwei Töchtern einer Kuratorin in Winterthur.

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