Wann haben Sie mit Sport begonnen und wurde Ihnen das Sport-Gen in die Wiege gelegt?
Ja, das kann man schon so sagen. Ich bin in einer sehr sportbegeisterten Familie aufgewachsen. Wenn ich mir Fotos von früher ansehe, waren wir immer entweder am Wandern oder sonst aktiv unterwegs. Ich bin der jüngste von drei Brüdern und habe schon immer meinen grossen Brüdern nachgeeifert. Begonnen hat alles mit Fussball, dann Geräteturnen und mit 13 Jahren kam ich zum OL-Sport.
Wieso OL-Sport? Wie kann man sich so jung schon fürs Kartenlesen interessieren?
Eigentlich habe ich immer viel lieber spielerische Sportarten gemocht als strategische, aber dann hat mein älterer Bruder mit dem OL-Sport begonnen. In erster Linie war das dann einfach ein Nacheifern und nicht die Leidenschaft fürs Kartenlesen. Aber mit dem Älterwerden wurde das Kartenlesen immer einfacher und somit kam dann auch die Freude.
Wann haben Sie Ihr Hobby zum Beruf gemacht?
Das war ein schleichender Prozess. Besonders streng fand ich die Gymizeit. Im Studium wurde es einfacher, alles unter einen Hut zu bekommen, weil ich da auch mal eine Lektion ausfallen lassen und flexibler planen konnte. Nach dem Studium war ich dann kurz Profi. Das hat mir zwar gut gefallen, aber mit nur zwei Trainings von zu Hause aus hat mir Inhalt für die restlichen Stunden des Tages gefehlt. Diese wollte ich sinnvoller nutzen, entweder mit einem neuen Hobby oder mit einem Job. So habe ich mich für eine flexible Teilzeitstelle als Projektleiter Nachhaltigkeit entschieden. In einem normalen OL-Jahr bin ich ca. 15 Wochen im Ausland. Daher ist es wichtig, dass ich mir die Arbeitszeit selbst einteilen kann. Ich mag es sehr, zwei Tage in eine andere Welt einzutauchen und die Zeit sinnvoll zu nutzen. Und ich habe immer noch genug Zeit fürs Training.
Wie stark konnte die Sporthilfe Sie bei Ihrer Karriere unterstützen?
Zu Juniorenzeiten hatte ich einen Paten, der mich unterstützt hat. Das war die erste Person ausserhalb meines Umfelds, die mich mit Geld unterstützt und an mich geglaubt hat. Das war schon speziell. Vorher waren es nur Mami und Papi und plötzlich kommt jemand von ausserhalb und unterstützt mich – das gab mir schon einen Extrakick.
Ist die Teilnahme an den Olympischen Spielen ein Kindheitstraum?
Ich habe die Olympischen Spiele zwar regelmässig verfolgt als Kind, aber das Ziel, dabei zu sein, war es per se eigentlich nie. Als ich dann so richtig im OL-Sport drin war, war sowieso klar, dass wir nie olympisch sein werden. Daher habe ich es weder vermisst noch verfolgt. Und auch zu Beginn des Marathontrainings habe ich das nicht mit dem Hintergedanken gemacht, damit an die Olympischen Spiele gehen zu können. Erst als wir im Januar das Marathonprojekt gezielter aufgegleist haben, setzte ich mir die Olympialimite zum Ziel. Die Spiele schienen für mich aber zu diesem Zeitpunkt in weiter Ferne.
Wie kam es zur Idee, einen Marathon in Paris zu laufen?
Da spielten mehrere Faktoren mit. Zum einen habe ich letztes Jahr an der Heim-WM zweimal Gold gewonnen. Damit ging ein intensives 4-jähriges Projekt zu Ende. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits 14 Jahre im OL-Sport und machte mir Gedanken darüber, welche anderen Herausforderungen ich noch antreten könnte. Ich habe mir sogar überlegt, ganz aufzuhören mit dem Sport. Aber dann war da noch mein Sportarzt, der meinte, dass meine körperlichen Werte so gut sind, dass ich eine Top-Marathonzeit laufen könnte.
Hinzu kam, dass ich im Januar Vater wurde und diesen Frühling unbedingt zu Hause verbringen wollte. Das ist schwierig mit dem OL, da man sehr viel unterwegs ist. Der Reiz war aber natürlich nach wie vor da, mich sportlich zu betätigen. Laufen kann ich von zu Hause aus und wenn ich beispielsweise nur 2 Stunden weg bin, habe ich in einem guten Training bereits 35 bis 38 Kilometer zurückgelegt. Das ist praktisch und sehr effizient. Aus diesem Grund war das ausschlaggebend, um die Familie mit dem Sport besser vereinen zu können.
Wie überrascht waren Sie über Ihre Zeit am Paris-Marathon?
(Anmerkung der Redaktion: Matthias Kyburz hat seinen Debüt-Marathon in Paris in 2:07:44 Stunden gelaufen. Somit ist er drittschnellster Schweizer.)
Hätten Sie mich im Dezember gefragt, hätte ich nie dran geglaubt, diese Zeit laufen zu können. Mitte Februar hätte ich gesagt, dass es da einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt. Und dann, nach etwa zwei Monaten Training, habe ich einen immensen Leistungssprung nach vorne gemacht. Ab da habe ich begonnen, daran zu glauben. Aber auch noch an der Startlinie war ich nicht restlos davon überzeugt, diese Zeit laufen zu können.
Wie wichtig ist neben der körperlichen Fitness die mentale Stärke?
Das Mentale hat einen enorm grossen Effekt. Früher sagte man oft, Marathonlaufen beruhe auf Erfahrung. Ich habe über die 15 Jahre im Spitzensport schon sehr viele Erfahrungen gesammelt und gelernt, wie ich mit verschiedensten Situationen umzugehen habe. Beispielweise stand während des Paris-Marathons meine Trinkflasche nicht am erwarteten Platz. Vor 10 Jahren hätte mich das bestimmt aus der Bahn geworfen. Heute weiss ich mit der Situation umzugehen und es macht mir nichts mehr aus. Das hat mit Erfahrung zu tun, die mentale Stärke entwickelt sich.
Woran denken Sie während eines Wettkampfes?
Überlegt lange. Gute Frage. Wenn ich zurück an den Lauf in Paris denke, habe ich wenig Erinnerungen daran. Ich war sehr konzentriert. Ich habe die Strecke vor dem Lauf studiert, ich wusste also, wann das Louvre und der Eiffelturm kommen würden. Und das versuchte ich aktiv aufzunehmen, weil es mitunter ein Grund war, in Paris zu laufen. Ansonsten habe ich mich eigentlich nur auf meine beiden Pacemaker konzentriert. Zu Beginn habe ich zudem oft die Uhr kontrolliert, um sicherzustellen, dass wir gut in der Zeit laufen. Aber als es dann wirklich hart wurde, war es nur der Fokus auf meinen Körper.
Werden Sie jetzt ein Marathonläufer?
Das ist noch nicht klar. Was ich sicher weiss, ist, dass ich die OL-Weltmeisterschaft nächstes Jahr laufen möchte. Die findet in Finnland statt, dem Mekka des OL-Sports, das reizt mich darum sehr. Und es ist der Titel über die Langdistanz, die Königsdisziplin im OL, der mir bisher noch fehlt. Ich schliesse aber nicht aus, im Frühling oder Herbst noch einen Marathon zu laufen. Aber eins nach dem anderen …
Wie sieht eine typische Trainingswoche bei Ihnen aus?
In einer klassischen Marathontrainingswoche laufe ich 180 bis 190 Kilometer. Zudem absolviere ich vier Stunden Krafttraining. Ein Schlüsseltraining pro Woche ist jeweils ein Longrun von etwa 30 bis 38 Kilometern. Das zweite Schlüsseltraining ist ein klassisches Intervalltraining, z. B. 3 × 5 Kilometer. Als drittes hartes Training mache ich oft ein Intervalltraining, z. B. 20 × 1 Minute schnelles Tempo und 1 Minute mittelschnelles Tempo – insgesamt 40 Minuten.
Wie bewusst bereitet man sich auf Eventualitäten wie z. B. Verletzungen vor?
Das vorher erwähnte Krafttraining dient hauptsächlich der Verletzungsprophylaxe. Ich trainiere jeweils eine Stunde Rumpfkraft und drei Stunden Beinkraft. Es gibt nie eine Garantie, gesund zu bleiben, aber das Krafttraining absolviere ich nicht, um schneller zu werden, sondern das schützt mich vor Verletzungen. Nur so kann mein Körper diese 190 Kilometer Lauf-Belastung aushalten. Aber es ist immer eine Gratwanderung zwischen immer noch mehr machen zu wollen und auf meinen Körper zu hören. Das war auch meine grösste Sorge, als ich vom OL-Training auf das Marathontraining gewechselt habe. Beim OL habe ich zwar stundenmässig gleich viel trainiert wie beim Marathontraining, aber da kam ich auf rund 110 Kilometer und 5000 Höhenmeter pro Woche. Momentan sind es eher 500 Höhenmeter, und das grösstenteils auf Asphalt. Das ist eine andere Belastung. Zum Glück bin ich bisher vor grösseren Verletzungen verschont geblieben. Es ist sehr wichtig, dass Belastung, Erholung und Kräftigung in Balance sind.
Haben Sie ein Vorbild?
Heute nicht mehr. Früher war es Matthias Merz. Er war OL-Läufer, aus dem Aargau und dazu noch Weltmeister. Fünf Jahre älter als ich. Er ist zwar keine grosse Persönlichkeit in der Schweiz, aber ich habe ihn sehr bewundert. Und auf einmal waren wir zusammen im Nationalkader. Ich habe ihn dann überholt, aber er hat mir aufgezeigt, was alles möglich ist als OL-Läufer.
Wie motivieren Sie sich für Ihre Trainings?
Ich habe eigentlich nie keine Lust, zu trainieren. Die harten Trainings sind sicher nicht immer eine Freude, aber die anderen Einheiten machen mir Spass. Es ist eher so, dass ich, wenn ich mal kein Training habe, den Drang verspüre, nach draussen zu gehen. Das ist in meiner Struktur, ohne Sport geht es fast nicht mehr. Ein Ziel zu haben, motiviert mich extrem.
Sie sind Anfang Jahr Papa geworden. Hat sich die Wichtigkeit des Sports dadurch verändert?
Es hat sich extrem viel verändert in meinem Leben, aber nicht die Wichtigkeit des Sports, weil das mein Beruf ist. Jetzt gibt es aber noch jemanden, der das Tagesprogramm mitbestimmt. Obwohl es sich momentan noch nicht anfühlt, als ob ich sehr viele Kompromisse eingehen müsste. Ich trainiere dann, wenn ich Zeit habe. Es ist komplett anders, aber wunderschön.